Veranstaltung: | Digitales LDK-Festival 2020 |
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Tagesordnungspunkt: | 0.O - Organisation/Verbandsleben |
Antragsteller*in: | Jusos Dresden |
Status: | Zurückgezogen |
Eingereicht: | 06/02/2020, 11:48 |
O02: Die Zukunft der SPD-internen Abstimmungen: Wir müssen mehr Zugriffsschutz wagen.
Antragstext
Die Jusos Sachsen mögen beschließen und über den Bundeskongress und den
Landesparteitag an den Bundesparteitag weiterleiten. Im Weiteren wird der Antrag
direkt an den Landeschäftsführer und den Bundesgeschäftsführer weitergeleitet.
Demokratie lebt von Beteiligung. Für die Partei, die wie keine andere für die
Demokratisierung sämtlicher Lebensbereiche kämpft, ist es eine
Selbstverständlichkeit auch und gerade intern wichtige Entscheidungen unter
Einbeziehung aller zu treffen. Das Angebot digitaler Möglichkeiten bei
parteiinternen Entscheidungen ist somit ein im Grundsatz richtiger, zumindest
aber sehr nachvollziehbarer Schritt.
Leider haben wir dabei in der jüngeren Vergangenheit wichtige demokratische
Grundprinzipien nicht beachtet und grundlegende Prinzipien der IT-Sicherheit
nicht verstanden bzw. grob missachtet. Besonders bitter ist dabei, dass die
vordringlichste Motivation die Kosteneinsparung ist. Die SPD darf demokratische
Entscheidungsfindung nicht durch Sparzwänge gefährden. Demokratie ist keine
Geldfrage. Lasst uns die Teilhabe ermöglichen, die unsere Partei braucht und die
Mitglieder verdienen!
Konkret beziehen wir uns auf die Wahl zum Bundesvorsitzenden-Duo sowie die
Abstimmung über den sächsischen Koalitionsvertrag:
Elektronische Wahlen
Für die Abstimmung über die künftige Parteispitze der SPD müssen die
Wahlgrundsätze der Budesrepublik Grundlage sein. Eine solche Abstimmung muss
also allgemein, frei, gleich, unmittelbar und geheim sein. Darüber hinaus muss
das eingesetzte Verfahren für jede und jeden offensichtlich nachvollziehbar
sein.
Ein digitales Verfahren führt dabei immer eine Verletzung des Wahlgeheimnisses
oder der Unmittelbarkeit der Wahl. Entweder kann nicht nachvollzogen werden,
dass meine Stimme am Ende unmittelbar und richtig abgegeben sowie gewertet wurde
oder wenn dies überprüft werden könnte, wäre das Wahlgeheimnis verletzt. Das
Problem liegt schlicht und ergreifend darin, dass niemand von uns in der Lage
ist den Elektronenstrom in einem Transistor mit den eigenen Sinnen direkt
nachzuvollziehen. Bei einer Urne mit Papierwahlzetteln geht das eben schon. Denn
auch wenn tausende Tests mit dem Verfahren zu einem konsistenten Ergebnis
führen, ist eben nicht klar, dass es beim tausend und ersten Mal wieder so ist
oder letztlich gar eine Manipulation für den Testbetrieb vorlag.
Wenn das Bundesverfassungsgericht und der Chaos Computer Club sich bei einer
digitalpolitischen Angelegenheit einig sind, ist davon auszugehen, dass sie
Recht haben.
Daraus ergibt sich im Besonderen folgende Schlussfolgerung:
Wir erkennen an, dass es niemals eine Möglichkeit geben wird, Wahlen
ausschließlich unter Einsatz digitaler Hilfsmittel unter Wahrung der
Wahlgrundsätze nach Artikel 38 des Grundgesetzes durchzuführen. Dies betrifft
sowohl Onlineverfahren als auch Abstimmgeräte auf Parteitagen. Es muss
mindestens eine Absicherung des Verfahrens über eine für Laien einfach und
offensichtlich nachvollziehbare erfolgen.
Wir fordern, dass alle Wahlen sowie damit verbundene Meinungsbildung entweder
per Urnen- oder Briefwahl abgesichert werden.
Abstimmung über politische Sachverhalte
Wir halten es für richtig und gut, die Mitgliedschaft stärker einzubinden und in
die Pflicht zu nehmen an den Entscheidungen des sächsischen Landesverbandes
mitzuwirken. Dafür bilden digitale Meinungsfindungs- und Abstimmungsverfahren
eine akzeptable Grundlage, wenn diese im informationstechnischen Sinne sicher
sind.
Die Nachvollziehbarkeit kann hierbei jedoch durch eine öffentliche – für alle
einsehbare – Aufzeichnung des individuellen Abstimmungsverhaltens sichergestellt
werden. Prinzipiell wäre es also möglich Kaderlisten auf Basis von erwünschtem
oder unerwünschtem Abstimmungsverhalten zu erstellen. Diesem Risiko muss bewusst
begegnet werden. Eine zeitlich begrenzte öffentlich Verfügbarkeit der Daten
schränkt die Auswertung zumindest etwas ein.
Elektronische Systeme, die es ermöglichen müssen insbesondere folgende
Schutzziele der Informationssicherheit erfüllen: Vertraulichkeit, Integrität und
Authentizität. Das heißt mindestens – und es ist ein Armutszeugnis, dass wir so
etwas beschließen müssen:
- kein Einsatz unverschlüsselter Kommunikation,
- Sicherstellung der richtigen Empfänger:innen (keine Verwendung
unüberprüften Mail-Adreesen),
- verpflichtende Mehr-Faktor-Authentifizierung auf Empfänger:innen-Seite,
- Überprüfparkeit des eigenen Abstimmungsverhaltens durch Veröffentlichung
namentlicher Abstimmungslisten,
Bis eine vollständige, überprüfbare informationstechnisch sichere elektronische
Lösung nicht einsatzbereit ist, sollten wir darauf jedoch dringend verzichten.
Darüber hinaus regen wir an Möglichkeiten der Liquid Democracy, das heißt der
themenspezifischen Stimmrechtsübertragung, stärker zur Entscheidungsfindung zu
berücksichtigen.
Begründung
Der Antragstext enthält vor allem die grundsätzlichen Überlegungen für oder gegen elektronisch unterstützte Abstimmungsssyteme. Die Begründung soll insbesondere dazu dienen, die teils groben technischen Schnitzer für die Wahl der Bundesvorsitzenden bzw. der Abstimmmung über den Koalitionsvertrag hervorzuheben und damit den dringenden innerparteilichen Handlungsbedarf darzustellen.
Bei der Bundesvorsitzendenwahl wurde ein Opt-In-Verfahren benutzt, dass alle Abstimmungsberechtigten hatten die Möglichkeit durch eigenes Handeln statt an einer Briefwahl an einer digitalen Abstimmung teilzunehmen. Daraufhin wurden jedoch unverschlüsselte Mails an nicht überprüfte Mail-Adressen mit den jeweiligen Zugangsberechtigungen zur Abstimmungen versendet. In Kombination mit Mitgliedsnummer und Geburtsdatum konnten daraus die Abstimmungstokens generiert werden. Durch gezieltes Phishing, bereits kompromittierte IT-Sysmte auf Mitgliederseite oder schlichtweg gemeinsam genutzte Mail-Adressen, sind eine Reihe von Angriffsvektoren geöffnet worden.
Bei der Abstimmung über den Koalitionsvertrag sind die Zugangsberechtigungen darüber hinaus sogar über eine Serienbrieffunktion versendet worden, die es ermöglicht hat, die Zugangsberechtigungen aller Mitglieder außerhalb ihres Mailpostfachs über eine unverschlüsselte HTTP-Verbindung ohne SSL abzurufen. Die einzige „Sicherheit“ war eine bis zu 8 Stellen umfassende individuelle ID aus Großbuchstaben und Ziffern. Eine Größenordnung, die man durchaus mit einfachen Bruteforce-Methoden erreichen kann. Darüber hinaus gab es hier nur die Optout-Möglichkeit, das heißt alle abstimmungsberechtigten Mitglieder konnten dem Online-Verfahren lediglich widersprechen.