Veranstaltung: | Ordentliche Landesdelegiertenkonferenz der Jusos Sachsen 2022 |
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Tagesordnungspunkt: | 6.1 Anträge |
Antragsteller*in: | Ann-Kathrin Zierau (beschlossen am: 03/26/2022) |
Status: | Zurückgezogen |
Eingereicht: | 03/26/2022, 21:23 |
A-05: „Das verkaufte Geschlecht“ – Prostitution und Kapitalismus im 21. Jahrhundert
Antragstext
"Das beweist […] die Existenz der Prostitution: die Frau gibt sich,
während der Mann sie nimmt und belohnt. Nichts verbietet dem Mann,
untergeordnete Geschöpfe zu nehmen und zu beherrschen.“ (Simone de
Beauvoir, Das andere Geschlecht, S. 455, 1949)
Was Kate Millett, Simone de Beauvoir, Alexandra Kollontai und Andrea Dworkin die
Prostitution und das Geschlechterverhältnis betreffend in den letzten 100 Jahren
analysiert haben, ist auch 2022 noch von erdrückender Aktualität. Neben den
allgemeinen Umständen in der Prostitution, verschärft aktuell der Krieg die
Situation der Frauen. An den Grenzen der Ukraine und an den Zielbahnhöfen warten
momentan Menschenhändler und Zuhälter auf die ankommenden Frauen, um diese mit
dubiosen Hilfsangeboten in die Prostitution zu zwingen. In Zeiten von
internationalen Krisen zeigt sich immer wieder, dass diese zulasten von Frauen
und ihrer Rechte und Freiheiten gehen.
Prostitution ist nicht etwa das älteste Gewerbe der Welt, sondern das älteste
Unterdrückungsinstrument gegenüber Frauen im Kapitalismus.
Kapitalismus und Patriarchat bieten als Herrschaftsformen gesondert genügend
Möglichkeiten, um Frauen zu unterdrücken und auszubeuten. Das Patriarchat
bestand schon lang vor dem System des Kapitalismus und verfestigte sich in
seiner Frühphase – seit Existenz der kapitalistischen Gesellschaft stehen beide
Systeme in einem dialektischen Verhältnis zueinander und bilden unterschiedliche
Verzahnungen aus. In der Prostitution verschränken sich männliche Herrschaft und
ökonomische Ausbeutung. Dadurch bilden sie ein System von Gewalt gegen Frauen,
welches seit Jahrhunderten aufrechterhalten wird und nicht zuletzt auch alle
Frauen und den männlichen Anspruch, ständige Verfügbarkeit von Frauen verlangen
oder sich erkaufen zu können, betrifft.
Aktuelle Lage in Deutschland und Europa
Die Ausübung von Prostitution war vor 2002 sittenwidrig und zählte zu den
sogenannten Sittlichkeitsdelikten, welche dem Schutz der öffentlichen
Sittlichkeit dienten. Seit der Einführung des Prostitutionsgesetzes (ProstG)
begründen sexuelle Handlungen gegen Entgelt rechtswirksame Forderungen. Nach 20
Jahren der Liberalisierung finden wir in Europa einen Zustand vor, welcher
Deutschland zum größten Bordell Europas macht. Während in den umliegenden
Ländern teilweise die Prohibition, demnach das vollkommene Verbot der
Prostitution und die Sanktionierung der Frauen, vorherrscht, werden insbesondere
Frauen aus dem EU-Ausland und somit aus Ungarn, Rumänien und Bulgarien von
Menschenhändlern nach Deutschland gelockt. Laut dem Statistischen Bundesamt
haben über 80% der gemeldeten Prostituierten keine deutsche Staatsbürgerschaft.
(Pressemitteilung 451 v. 26.11.2019) Prostitution vereint Kapitalismus,
Patriarchat und Rassismus, dadurch, dass vor allem vulnerable Frauen in die
Prostitution geraten, um den deutschen Freier zu befriedigen.
2017 trat das Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG) in Kraft. Ziel des Gesetzes
war es, die Unstimmigkeiten des ProstG auszubessern und Rechtssicherheit für die
Prostituierten zu schaffen. Die Gesetzesänderung beinhaltete unter anderem die
Einführung einer Kondompflicht für den Freier, sowie die generelle
Anmeldepflicht für die Prostituierten. Von den geschätzt 200.000 Prostituierten
in Deutschland (BT-Drucksache 18/8556) sind laut Statistischem Bundesamt knapp
40.000 überhaupt angemeldet. (Pressemitteilung 286 v. 30.07.2020)
Die aktuelle Lage zeigt, dass die Liberalisierungsversuche gescheitert sind. Die
Frauen befinden sich immer noch in der schlechteren Lage und haben kaum
Instrumente und Strukturen, um sich vor Freiergewalt effektiv zu schützen. Auch
wenn die Ansätze der ursprünglichen Einführung des ProstG und der späteren
Reformierung zum ProstSchG den Frauen helfen sollten, so setzen diese eine
Unterteilung der Prostitution in legale, freiwillige Sexarbeit und
unfreiwillige, illegale Zwangsprostitution voraus und verkennen somit die
grundlegende Analyse, dass Arbeit im Kapitalismus immer Zwang bedeutet und Sex
unter diesen Bedingungen somit nicht freiwillig sein kann und immer eine
Transformation des eigenen Körpers und der Sexualität hin zur Marktkonformität
benötigt. Dies stellt für uns Jusos einen nicht hinnehmbaren Umstand dar. Wir
wollen nicht nur den Kapitalismus überwinden und ein gutes Leben für alle
ermöglichen, sondern besonders eines: Selbstbestimmung.
Die Ware Frau
„Ein Mann, der sich Gefälligkeiten von einer Frau kauft, sieht in ihr
weder eine Genossin noch eine Person mit gleichen Rechten. Er betrachtet
sie als abhängig von ihm, als eine niedere Kreatur, die kaum Wert für den
Staat der Arbeiter hat. Die Verachtung, die er für die Prostituierte hat,
wirkt auf seine Einstellung allen Frauen gegenüber. Die […] Prostitution
stärkt die Ungleichheit des Geschlechterverhältnisses und nicht die
Entwicklung von Kameradschaft und Solidarität.“ (Alexandra Kollontai,
Prostitution and ways of fighting it, 1921)
In der Prostitution wird die ‚Ware Frau‘ veräußert. Darunter versteht sich die
‚Sexualität‘ der Frau, die sie, um sie marktkonform zu machen, von sich
entfremden muss. Damit diese Entfremdung vollzogen werden kann, setzt bei
Prostituierten oft Dissoziation ein. Diese wird laut Traumatheraupeutinnen, die
mit Prostituierten und Ex-Prostituierten zusammenarbeiten als häufiges Phänomen
in der Prostitution beobachtet. Michaela Huber, Vorsitzende der Deutschen
Gesellschaft für Trauma und Dissoziation (DGTD) beschreibt diesen Prozess wie
folgt: „Um fremden Menschen die Penetration des eigenen Körpers zu ermöglichen,
ist ein Abschalten natürlicher Phänomene erforderlich, die sonst unweigerlich
wären: Angst, Scham, Fremdheit, Ekel, Verachtung, Selbstverurteilung, Schmerzen.
An die Stelle dieser Gefühle tritt Gleichgültigkeit, Verhandeln, ein sachliches
Verständnis der Penetrationserfahrungen, Umdefinieren der Handlung in eine
Arbeit oder Dienstleistung.“
Sexarbeit ist weder Sex noch Arbeit. Mindestens in der Austauschbarkeit der
Dienstleistung scheitert die Argumentation, ‚Sexarbeit‘ wäre ein Beruf wie jeder
andere. Es wäre zynisch, an dieser Stelle zu versuchen, Prostitution mit anderen
Dienstleistungen in der modernen Gesellschaft zu vergleichen. Beim Anbieten der
‚Dienstleistung‘ unter kapitalistischen Zwängen findet sich in der Person der
Prostituierten keinerlei Trennung ihrer Selbst als Arbeitssubjekt vom Objekt;
Subjekt und Objekt sind ständig identisch und somit Entfremdung und Missbrauch
gerade zu ausgeliefert. Ein ‚Beruf‘, der darauf beruht, dass fast ausschließlich
Frauen von Männern gekauft werden, ist zutiefst patriarchal und kann nicht
einfach durch andere Menschen ausgetauscht und ausgeübt werden.
Der feministische Diskurs der letzten Jahre legte zwar auf der einen Seite viel
Wert darauf, Kampagnen wie ‚Nein heißt Nein‘ zu unterstützen und Sex ohne
Konsens als das zu bezeichnen, was er ist – eine Vergewaltigung; jedoch hält
sich dieser Grundsatz nur so lang, bis ein Mann für seine sexuelle Befriedigung
bezahlt. Ein erkauftes „Ja“ zum Sex ist immer ein ursprüngliches ‚Nein‘. Das
Geld spielt dabei eine reinigende Rolle – es hebt letztlich den
Geschlechterkampf auf und erkauft den Konsens der Frau (Beauvoir 1949: 717).
Solange Männer die Möglichkeit haben, Frauen und ihren Körper tagtäglich zu
kaufen, werden sie diesen Anspruch auch anderen Frauen gegenüber erheben.
Das Nordische Modell
Die Antwort auf die aktuelle Situation kann aus jungsozialistischer Sicht nur
eine sein: Täter benennen - Freier bestrafen. Das nordische Modell, aktuell in
Norwegen, Schweden, Finnland, Nordirland, Israel, Frankreich, Island, Kanada
umgesetzt, setzt sich aus mehreren Säulen, welche je nach Land unterschiedlich
stark ausgeprägt sind, zusammen:
1. Säule: Entkriminalisierung der Prostituierten
Die erste Säule besteht aus der Entkriminalisierung der Frauen. Prostituierte
Frauen werden aufgrund mangelnder Anmeldung oder wegen Sperrbezirken
strafrechtlich und ordnungsrechtlich verfolgt. Sie erfahren Repressionen und
gefährden oft ihr Überleben, wenn sie gegen den Freier oder gar ihren Zuhälter
vorgehen wollen. Prostituierte dürfen im Nordischen Modell weiterhin ihre
Tätigkeit ausüben, ohne die Angst vor Strafandrohung; das Machtverhältnis wird
somit umgekehrt. Das Ziel ist dennoch, langfristig eine Welt ohne Prostitution
zu erreichen.
2. Säule Kriminalisierung der Freier und Betreiber
Die zweite Säule fokussiert sich auf die Bestrafung der Freier und Zuhälter.
Durch die gesellschaftliche Ächtung der Freier wird Freier-Sein zukünftig für
den Großteil der Gesellschaft nicht tragbar. Die Nachfrage wird reduziert und es
gibt auch keinerlei Anhaltspunkte, die wissenschaftlich ernst zu nehmen sind,
dass Prostitution in die Illegalität abrutscht. Im Gegenteil: im organisiert-
kriminellen Zuhälter- und Menschenhändler-Milieu hilft keine Liberalisierung
mehr.
3. Säule Ausstiegshilfen und Beratungsangebote
Die dritte Säule verlangt einen strukturellen Ausbau der Hilfsangebote. Es
benötigt flächendeckende Ausstiegshilfen und Beratungsangebote für Frauen in der
Prostitution und Ex-Prostituierte. Jede Frau, die aus der Prostitution
aussteigen möchte, muss darin finanziell, strukturell, sozial und psychologisch
unterstützt und betreut werden. Mit Blick auf homosexuelle Prostitution und
Trans* in der Prostitution benötigt es spezifische Ausstiegs- und
Beratungsangebote.
4. Aufklärung und Prävention
Die letzte Säule stellt die Forderung der gesamtgesellschaftlichen Aufklärung
über das Thema auf. Prostitution betrifft die Gesellschaft als Ganzes, spiegelt
die Stellung der Frau in der Gesellschaft wider und muss vor allem die Freier
und Männer in Verantwortung nehmen. In Form von Präventions- und
Aufklärungsprogrammen muss es einen gesamtgesellschaftlichen Diskurs darüber
geben, wie mit Prostitution umgegangen wird.
Weitere Forderungen zur Umsetzung
- Bei Kontrollen, beispielsweise in Bordellen, müssen Sozialarbeiter:innen
anwesend sein, um eine starke zivile Kontrolle zu ermöglichen, um so
Repressionen durch die Polizei vorzubeugen
- Gezielte Schulungen von Polizei und Mitarbeiter:innen in Meldebehörden, um
eine Ausstiegshilfe zu gewährleisten
- Frauen mit unklaren Aufenthaltsstatus sollen den gleichen Schutz,
Ausstiegshilfe und eine Bleibeperspektive erhalten wie legal eingereiste
Frauen - dazu benötigt es eine Anpassung des Asylgesetzes
- Regelmäßige Evaluation über die Wirksamkeit der Maßnahmen, um den Schutz
von Frauen sowie die gezielte Bestrafung von Freiern stets zu
gewährleisten
Unsere Utopie
Kein anderer Job verlangt so viel Entfremdung und Körperlichkeit von Frauen, wie
die Prostitution. Kein anderer Job greift so sehr in das grundlegendste
Menschenrecht, in die Menschenwürde, ein. Die Utopie einer sozialistischen
Gesellschaft frei von ökonomischen Zwängen kann nur eine ohne die Existenz von
Prostitution sein. Patriarchale Verhältnisse analysieren und umwerfen bedeutet
auch, Prostitution als das zu erkennen, was es in sich vereint: Patriarchat und
Kapitalismus. Der gesellschaftliche feministische Prozess und somit auch die
Befreiung der Frau funktioniert nur zusammen mit einem sozialistischen
Gesellschaftsentwurf und dieser lässt keinen Platz für das Erkaufen und
missbrauchen von Frauen.
Begründung
Erfolgt mündlich durch die Antragstellerin