Veranstaltung: | Ordentliche Landesdelegiertenkonferenz der Jusos Sachsen 2023 |
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Tagesordnungspunkt: | 6.1 Anträge |
Antragsteller*in: | Jusos Chemnitz (dort beschlossen am: 11/03/2023) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 03/15/2023, 09:32 |
A8: Ungleichheit bekämpfen – Grunderbe einführen!
Antragstext
Die Landesdelegiertenkonferenz der Jusos Sachsen möge beschließen und an den
Landesparteitag der SPD Sachsen weiterleiten, mit Ziel der Weiterleitung an den
SPD-Bundesparteitag:
Die wachsende Ungleichheit ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit.
Sie spaltete unsere Gesellschaft und schadet unserer Demokratie. Das Ausmaß
dieses Problems wird oft unterschätzt. Mit einem Gini-Index bei Vermögen von 0,8
(0 entspricht dabei einer absoluten Gleichverteilung, 1 entspricht einer
maximalen Ungleichheit) ist Deutschland eine der weltweit ungleichsten
Demokratien. Dabei wird die Schere zwischen Arm und Reich immer größer, während
der Klimawandel und strukturelle Diskriminierung diesen Effekt weiter
verstärken.
Die Vermögensungleichheit in Deutschland ist demokratiegefährdend!
Deutschland ist ein Paradebeispiel für schamlose Vermögensungleichheit. Zwei
Familien haben mehr Geld als die gesamte untere Hälfte der Bevölkerung, das
reichste Prozent besitzt über ein Drittel des gesamten Vermögens. Dieses massive
Ungleichgewicht wird durch die Tatsache verschärft, dass mehr als die Hälfte
dieser Vermögen vererbt oder verschenkt wurden. Es ist an der Zeit, dass dieses
ungleiche und ungerechte System überwunden wird. Die Macht von Reichtum und
Erbschaften müssen bekämpft werden, damit jede:r eine faire Chance auf sozialen
Aufstieg hat.
Eine Studie des DIW lässt keinen Zweifel daran, dass Erbschaften der Hauptgrund
für die extreme Vermögensungleichheit in Deutschland sind. Die obere Hälfte der
Deutschen besitzt bereits heute 99,5 Prozent aller Vermögen, während die ärmere
Hälfte nur über 0,5 Prozent verfügt. Die Schätzungen bezüglich des deutschen
Erbschaftsvolumens belaufen sich auf unglaubliche 400 Milliarden Euro pro Jahr –
das ist ungefähr das gesamte Bruttoinlandsprodukt von Österreich oder 10 Prozent
des BIP von Deutschland.
Durch Erbschaften werden nicht nur große Vermögen an die nächste Generation
weitergegeben, sondern auch politische Macht akkumuliert. Die hohe Konzentration
von Reichtum bei wenigen Familien stellt eine Bedrohung für unsere Demokratie
dar und widerspricht demokratischen Prinzipien. Durch ihr übermäßiges Vermögen
können sehr wohlhabende Menschen politischen Einfluss erkaufen und ihre
wirtschaftliche Macht nutzen, um den öffentlichen Diskurs zu ihren Gunsten zu
beeinflussen. Eine progressive Erbschaftssteuer kann hier eine Korrektur
herbeiführen, indem sie den politischen Einfluss durch hohe Vermögen reduziert,
die Ungleichheit senkt und gleichzeitig den fairen demokratischen
Willensbildungsprozess stärkt.
Unterschiedliche Aufstiegschancen in unserer Gesellschaft beruhen nicht auf
unterschiedlicher Leistungsfähigkeit, sondern auf dem Vermögen der Eltern. Das
Kapital der Eltern hat einen erheblichen Einfluss auf den Bildungserfolg der
Kinder. Eltern mit höherem Kapital haben oft die Möglichkeit, ihren Kindern
bessere Bildungschancen zu bieten, wie den Besuch von privaten Schulen,
Nachhilfeunterricht oder individuelle Förderung. Diese zusätzlichen Ressourcen
können dazu beitragen, dass Kinder bessere Noten in der Schule schreiben und
sich auf höhere Bildungswege vorbereiten können. Ebenso können Eltern mit
höherem Kapital ihren Kindern Zugang zu kulturellen Veranstaltungen und
Aktivitäten sowie Netzwerken ermöglichen, die ihr Wissen, Fähigkeiten und
persönliche Kontakte erweitern. Das aktuelle Erbschaftssystem zementiert und
befördert diesen Effekt.
Besonders eklatant ist die Vermögensungleichheit zwischen Ost- und
Westdeutschland. Mehr als 30 Jahre nach der sogenannten Wiedervereinigung
Deutschlands sind die Unterschiede in den Lebensverhältnissen nach wie vor groß.
Systembedingt konnten Menschen in der DDR weniger privates Vermögen aufbauen und
an die nachfolgenden Generationen weitergeben als Menschen in Westdeutschland.
Entsprechend sind die individuellen Nettovermögen in Ostdeutschland deutlich
geringer als in den alten Bundesländern. Der Median des Nettogesamtvermögens
liegt im Westen mit über 60.000 € dreimal so hoch wie im Osten mit nur 21.000 €.
Auch bei den Erbschaften zeigen sich extreme Ungleichheiten: Ostdeutsche
erhalten seltener und kleinere Erbschaften. Am gesamten Erb- und
Schenkungsvolumen 2021 hatte der Osten Deutschlands lediglich 2,8 Prozent. Schon
beim Geldvermögen erben Westdeutsche mehr als Ostdeutsche: Die durchschnittliche
Erbschaft liegt im Westen bei 92.000 €, im Osten nur bei 52.000 €. Ein weiterer
Faktor für die ungleiche Verteilung sind Immobilien: Während im Westen in jedem
zweiten Erbfall Immobilien vererbt werden, ist dies im Osten nur bei jedem
dritten Erbgang der Fall. Bei den Unternehmensvermögen ist die Ungleichheit noch
krasser. Zwischen 2009 und 2020 wurden über 409 Milliarden Euro steuerfrei
verschenkt oder vererbt. Lediglich 1,6 Prozent gingen dabei nach Ostdeutschland.
Die bestehenden Ungleichheiten sind nicht nur ökonomisch, sondern auch politisch
problematisch. Es gibt einen direkten Zusammenhang zwischen der wirtschaftlichen
Unsicherheit, den damit verbundenen Abstiegsängsten und den höheren
Wahlergebnissen der AfD. Während die AfD bei der Bundestagswahl 2021 in den
westlichen Bundesländern durchschnittlich 7,9 Prozent der Zweitstimmen erhielt,
waren es im Osten 22,4 Prozent.
Es gibt heute keine Region in Europa, in dem eine Bevölkerung so wenig Grund und
Boden, Immobilien und Betriebe besitzt wie die Ostdeutschen in Ostdeutschland.
Keine Bevölkerung hat dort, wo sie lebt, so wenig Führungspositionen inne wie
die Ostdeutschen, sei es in den Betrieben, in den Medien, in den Verwaltungen
und Banken, beim Militär und bei der Polizei oder an den Gerichten und
Universitäten. Und auch diese fehlende Repräsentation steht im Zusammenhang mit
fehlendem sowie ungleich verteiltem ökonomischem Kapital und der damit
verbundenen sozialen Ungleichheit.
Wir brauchen eine Reform der Erbschaftssteuer!
Aus dieser Analyse heraus wird deutlich, dass es eine umfassende Reform und
Erhöhung der Erbschaftssteuer benötigt, um eine Umverteilung von Reich nach Arm
zu schaffen! Die Altersstruktur der deutschen Bevölkerung zeigt, dass die
Erbschaftsfrage in naher Zukunft noch drängender wird, denn die meisten Reichen
und Überreichen in unserem Land sind über 65 Jahre alt. Vermögensaufbau in
Deutschland passiert fast nur noch über den Erbgang und gleicht einer Lotterie.
Die Idee einer Gesellschaft, in der Arbeit die treibende Kraft für den
Vermögensaufbau und für die soziale Position einer Person entscheidend ist,
verkommt mit der aktuellen Erbschaftsteuer zur Legende.
Die aktuelle Erbschaftssteuer bevorteilt überwiegend Superreiche durch
Schlupflöcher, Sonderregelungen und weiteren Steuerprivilegien. Diese
Steuersubventionen belaufen sich auf bis zu 10 Mrd. Euro jährlich. Der
durchschnittliche Steuersatz auf Erbschaften und Schenkungen von unter 20 Mio.
Euro beträgt 9 %, bei Erbschaften und Schenkungen von über 20 Mio. nur noch
lediglich 2,8 %. Die Folge dieser regressiven Steuersätze ist eine steigende
Vermögensungleichheit und eine Verletzung des Gleichheitssatzes im Grundgesetz.
Das hat auch das Bundesverfassungsgericht in mehreren Urteilen festgestellt und
die aktuelle Erbschaftssteuer für verfassungswidrig erklärt. Jedoch haben keine
der daraufhin erfolgten Reformen dieses System grundlegend verändert.
Wir begrüßen die Initiative der SPD und einiger Abgeordneter aus der SPD-
Bundestagsfraktion, die Urteile des Bundesverfassungsgerichts ernst zu nehmen
und an einem Reformvorschlag zu arbeiten. Wir werden die Vorschläge wohlwollend
betrachten. Für uns sind dabei folgende Punkte essenziell, um eine effektive
Reform der Erbschaftssteuer zu schaffen:
- Die Steuerprivilegien für Betriebe müssen abgeschafft werden. Derzeit
werden kaum Steuern auf Betriebsvermögen fällig. Ein Großteil der Vermögen
in Deutschland bestehen jedoch aus Firmenanteilen. Das sorgt dafür, dass
selbst milliardenschwere und hochprofitable Unternehmen steuerfrei
weitergegeben werden.
- Die hohen persönlichen Freibeträge müssen angepasst werden. Derzeit dürfen
pro Jahr 400 000 € steuerfrei vererbt oder verschenkt werden. Stattdessen
muss ein Lebensfreibetrag eingeführt werden. Dessen Höhe kann auch weit
über 400 000 € sein. Grundsätzlich geht es darum, dass langfristige
Schenkungspläne nicht mehr dazu genutzt werden können, Vermögen der
Erbschaftssteuer zu entziehen.
- Die Gründung von Stiftungen zur Umgehung der Erbschaftssteuer muss beendet
werden. Zu 95 Prozent wurden die steuerpflichtigen Vermögenstransfers
(bzw. der Anfall der Erbersatzsteuer) auf privatnützige Stiftungen
aufgrund der Ausnahmen für Unternehmensübergänge von der Steuer befreit.
- Derzeit kommt die Erbschaftssteuer den Bundesländern zugute. Dadurch
profitieren insbesondere westdeutsche Länder vom aktuellen System. Deshalb
ist es wichtig, dass die Erbschaftssteuer zur Bundessteuer wird und die
Steuerhoheit beim Bund liegt. Damit werden die Lebensverhältnisse zwischen
Ost und West weiter angeglichen und auch Regionen mit niedrigerem
Vermögensaufkommen profitieren von der Erbschaftssteuer.
Für eine effektive Umverteilung reicht nicht nur „Tax the rich!“, sondern auch
„Lift the poor!“ – deshalb braucht es ein Grunderbe für alle!
Das Versprechen der Politik an die Gesellschaft, für sozialen Aufstieg durch
Leistung und gleiche Startchancen zu sorgen, ist gescheitert. Sozialer Aufstieg
(durch Erwerbsarbeit) wird immer unwahrscheinlicher. Besonders Menschen mit
Migrationshintergrund oder ostdeutschen familiären Hintergrund sind besonders
von den Effekten der Vermögensungleichheit betroffen. Diesen Bevölkerungsgruppen
fehlen Jahrzehnte des intergenerativen Vermögensaufbaus.
Mit dem Konzept des sogenannten „Grunderbe“ kann dieser Ungleichheit
entgegengesteuert und gleichzeitig mehr Chancengleichheit geschaffen werden. Das
Konzept sieht vor, dass Bürger:innen in jungen Jahren ein gewisser Betrag als
Grunderbe ausgezahlt wird. Jungen Menschen wird damit zu Beginn des
Erwachsenenlebens ein Startkapital gegeben, um selbstbestimmt in ihre
Ausbildung, Studium, Unternehmensgründung oder sonstige Lebensträume zu
investieren.
Die materiellen Verhältnisse sind immer auch ein Ausdruck von Machtverhältnissen
in der Gesellschaft. Deshalb ist das Grunderbe ebenso ein Instrument, um eine
Machtverschiebung von Alt nach Jung zu bewirken. In einer so stark überalterten
Gesellschaft, wie es die Deutsche ist, werden die Interessen junger Menschen
kaum berücksichtigt. Die Einführung eines Grunderbes für alle, wirkt dem
entgegen. Denn junge Menschen können somit (ökonomisch) unabhängiger und
selbstbestimmter von den älteren Generationen ihr eigenes Leben gestalten und
Entscheidungen treffen.
Zudem schafft ein Grunderbe auch eine stärkere Angleichung der
Lebensverhältnisse zwischen Ost und West. Denn wie bereits beschrieben erben
Westdeutsche fast dreimal so viel wie Ostdeutsche. Deshalb profitieren
insbesondere junge Menschen in Ostdeutschland von der Einführung eines
Grunderbes. Zudem wird für junge Ostdeutsche der soziale Aufstieg und damit auch
der Karriereweg in Elitepositionen der Gesellschaft erleichtert. Damit kann das
Grunderbe auch einen Beitrag zu einer besseren Repräsentation von Ostdeutschen
in Elitepositionen leisten.
Ebenso profitieren auch Migrant:innen und Menschen mit Migrationsgeschichte vom
Grunderbe. Aufgrund der ebenfalls fehlenden Möglichkeit von intergenerativem
Aufbau von Vermögen und der strukturellen Diskriminierung, sind die Chancen zum
sozialen Aufstieg auch für diese Bevölkerungsgruppe ungleich schwerer. Auch hier
hilft ein Startkapital zum Eintritt in das Erwachsenenleben, um den eigenen
Lebensweg selbstbestimmter zu gestalten.
Unser Konzept, um die Vermögensungleichheit in Deutschland wirksam zu bekämpfen
ist das Grunderbe. Die bedingungslose Auszahlung von 60 000 € ab dem 18.
Lebensjahr stellt eine finanzierbare und in der Vermögensverteilung wirksame
Größenordnung dar. Der finanzielle Aufwand beträgt damit rund 45 Mrd. € pro
Jahr. Die Finanzierung muss über die Reform und Erhöhung der Erbschaftsteuer
erfolgen. Nicht einmal 15 % der rund 400 Mrd. €, die jährlich leistungslos
vererbt werden, müssten dafür durch die Erbschaftssteuer eingenommen und
umverteilt werden. Durch die Reform der Freibeträge werden außerdem
Mitnahmeeffekte bereits privilegierter Gruppen verhindert. Das Grunderbe, als
gesellschaftliches Erbe, wird auf das familiäre aufgerechnet und dementsprechend
versteuert. Damit ist das Grunderbe unbürokratisch, realpolitisch finanzierbar
und in der Höhe gesellschaftlich akzeptabel.
Das Grunderbe ist kein Ersatz für einen funktionierenden Sozialstaat!
Das Grunderbe ist ein zusätzliches Instrument, um die soziale Ungleichheit in
Deutschland zu bekämpfen und für mehr Umverteilung von Reich nach Arm zu sorgen.
Es soll keines der aktuellen sozialstaatlichen Maßnahmen ersetzen. So soll zum
Beispiel das BAföG mit Einführung des Grunderbes so angepasst werden, dass die
Vermögensprüfung entfällt. Es benötigt nach wie vor einen aktiven Sozialstaat,
der Menschen unterstützt und für soziale Gerechtigkeit sorgt.
Allerdings gibt es wenige Instrumente, die einen so starken Effekt auf die
Vermögensumverteilung haben, wie die Reform der Erbschaftssteuer und eine
gleichzeitige Auszahlung eines Grunderbes an junge Menschen. Das belegt auch
eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung aus dem Jahr 2021.
Bei einem Grunderbe von 20 000 € könnte der Gini-Koeffizient Deutschlands um bis
zu 7,2 % sinken. Mit unserem Konzept von 60 000 € würde dieser Effekt noch
stärker ausfallen.