D01NEU: Polizei – Demokratie statt Gewalt!
Veranstaltung: | Digitales LDK-Festival 2020 |
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Tagesordnungspunkt: | 0.D - Demokratie/Innen/Außen/Rüstung |
Antragsteller*in: | Jusos Chemnitz |
Status: | Modifiziert |
Eingereicht: | 05/29/2020, 11:34 |
Veranstaltung: | Digitales LDK-Festival 2020 |
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Tagesordnungspunkt: | 0.D - Demokratie/Innen/Außen/Rüstung |
Antragsteller*in: | Jusos Chemnitz |
Status: | Modifiziert |
Eingereicht: | 05/29/2020, 11:34 |
Der Landesvorstand der Jusos Sachsen möge beschließen:
Der Landesvorstand der Jusos Sachsen möge beschließen und an den Landesparteitag der SPD Sachsen weiterleiten:
Als politisch aktive und in besonderem Maße politisch exponierte Menschen ist
für uns der Kontakt mit der Polizei keine Seltenheit. Dabei erleben wir neben
vielen guten Kontakten immer wieder Situationen, in denen Vertreter*innen der
Exekutive die ihnen gegebene Macht missbrauchen oder die Befugnisse, Gewalt
anzuwenden, in unangemessenem Maße ausreizen. Für uns ist klar, dass politisch
aktive Menschen, Menschen in besonders verletzbaren Situationen oder einfach
Menschen, die von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit betroffen sind, bei
jedem Kontakt mit dem Staat unbedingt in Sicherheit sein müssen. Dass die
Realität leider oftmals von diesem Ideal abweicht, besorgt uns und veranlasst
uns, folgende Erkenntnisse, zu beschließen:
1. Das Problem heißt Machtmissbrauch! – Unhinterfragte und unkontrollierte
Machtpositionen führen oftmals zu Machtmissbrauch. Darum muss jede Machtposition
hinterfragt und kontrolliert werden.
2. Checks and Balances – Staatliche Gewalt muss demokratischer Kontrolle
unterliegen. Dafür benötigt es eines gesellschaftlichen Bewusstseins.
3. Zum Gewaltmonopol – Die vorderste Rolle der Polizei ist die Aufrechterhaltung
der gesetzlichen Ordnung, auch unter der situationsabhängigen, gezielten
Anwendung von Gewalt. Damit schützt die Polizei aber auch oftmals die Ursprünge
struktureller Gewalt und steht aktiv gegen emanzipatorische Bewegungen. Diese
Rolle der Polizei muss offen hinterfragt werden und darf nicht als gegeben
beziehungsweise frei von Kritik akzeptiert werden.
Als folgerichtige Konsequenzen fordern wir deshalb:
- Um die Bildung von sogenannten Gefahrengemeinschaften und damit die
Entwicklung einer Korpsgeist-Mentalität zu behindern, müssen die
Einsatzhundertschaften regelmäßig personell gemischt werden. Zukünftig sollen
deshalb sämtliche Einsatzhundertschaften samt ihrer untergeordneten Strukturen
in regelmäßigen Abständen aufgelöst und personell neu aufgebaut werden. Wenn
eine mangelnde Personaldichte die Mischung mehrerer Einsatzhundertschaften nicht
zulässt, sollen die Züge innerhalb der Hundertschaften reorganisiert werden. Die
Wahl der Länge des Reorganisationszyklus darf nicht so ausfallen, dass sie die
Arbeitsfähigkeit der Polizeikräfte in signifikantem Maße beeinträchtigt.
- Die Arbeit in einem streng hierarchischen Umfeld und bei täglicher
Konfrontation mit Gewalt, Schmerz und Leid stumpft ab. Ungeachtet der
persönlichen Gemütswelt einzelner Polizeibeamte ist klar, dass die Arbeit als
ausführende Gewalt des Staates kein Dauerzustand sein kann. Wir fordern daher
eine regelmäßige Rotation zwischen innerem und äußerem Dienst für Polizist*innen
in gewaltanwendenden bzw. gewalterfahrenden Einsatzgebieten. Die Rotationszyklen
für unterschiedliche Dienstlaufbahnen muss festgelegt und folgend regelmäßig
evaluiert werden. Zusätzlich soll eine verpflichtende psychologische
Aufarbeitung der im Einsatz erfahrenen Situationen etabliert werden.
- Die Arbeit in einem streng hierarchischen Umfeld und bei täglicher Konfrontation mit Gewalt, Schmerz und Leid stumpft ab. Ungeachtet der persönlichen Gemütswelt einzelner Polizeibeamte ist klar, dass die Arbeit als ausführende Gewalt des Staates kein Dauerzustand sein kann. Wir fordern daher eine regelmäßige Rotation zwischen innerem und äußerem Dienst für Polizist*innen in gewaltanwendenden bzw. gewalterfahrenden Einsatzgebieten. Die Rotationszyklen für unterschiedliche Dienstlaufbahnen muss festgelegt und folgend regelmäßig evaluiert werden. eine besondere Belastung darstellt, der auf unterschiedlichen Ebenen begegnet werden muss. Wir fordern daher, dass die Personalausstattung aller Polizeistandorte und Reviere so gestaltet wird, dass genügend Ruhe- und Erholungszeiten nach Einsätzen im Außendienst realisiert werden können, um so möglichen Stresserfahrungen zu begegnen. Gegebenenfalls muss hierfür die Einstellungskorridor für die notwendigen Dienstgrade weiter erhöht werden. Neben einer angemessenen personellen Ausstattung ist es jedoch auch notwendig, dass deeskalative Kommunikationsansätze vermehrt Eingang in den polizeilichen Alltag finden. Diese gilt es im Kontext von Aus- und Weiterbildungen verstärkt zu vermitteln, um so den Beamt*innen Alternativen zur Gewaltanwendung in angespannten Situationen an die Hand zu geben. Es muss während der gesamten Dienstdauer für Beamt*innen klar sein, dass Gewalt die Ultima Ratio darstellt und erst nach einem Scheitern von deeskalativen Lösungsansätzen Anwendung finden darf.Zusätzlich soll eine verpflichtende psychologische Aufarbeitung der im Einsatz erfahrenen Situationen etabliert werden.
- Polizeibeamte welche über illegitime Gewaltanwendung durch Kolleg*innen
aussagen, verdienen unseren Schutz. Die derzeitigen Schutzmaßnahmen für Polizei-
Whistleblower reichen nicht aus. Daher muss ein umfassendes Angebot geschaffen
werden, was die Sicherheit und Anonymität von Polizei-Whistleblower
gewährleistet. Angesiedelt werden muss die Koordination dieser Maßnahmen bei
einer noch zu schaffenden unabhängigen Beschwerdestelle für Polizeigewalt.
Dieses Angebot muss auch beinhalten, dass eine unabhängige Beratungsstelle für
Polizist*innen entsteht, die potentielle Whistleblower*innen betreut und schon
vor der Aussage schützt.
- Die Rechtsprechung angewandte „Radbruch’sche Formel“ muss in die Welt der
Exekutive übersetzt werden. Demnach haben Polizeibeamte das Recht zur
Befehlsverweigerung wenn die Befehle entweder nicht den Anspruch haben, Gewalt
zu verhindern, oder wenn durch die Ausführung des Befehls unerträgliches Leid
geschehen würde. Die Interpretation dieser Verleumdungs- und
Unerträglichkeitsformeln obliegt im Zweifelsfall dem Gericht. Die Radbruch’sche
Formel muss auch zentraler Teil der Ausbildung von Polizeibeamten werden um
ihren Missbrauch unwahrscheinlicher zu machen.
Dazu sollen die folgenden Punkte für die Polizei im Freistaat Sachsen umgesetzt
werden:
Kontaktpolizist*innen sollen Ihren Dienst ohne tödliche Schusswaffe
leisten. Selbstverständlich gilt dies nur für den gewöhnlichen Dienst, in
Ausnahmefälle, oder wenn die Waffe zu Demonstrationszwecken benötigt wird,
müssen hier Ausnahmeregelungen geschaffen werden.
Bei Demonstrationen sollen Polizistinnen keine tödlichen Schusswaffen mehr
tragen, sofern es nicht eine konkrete Bedrohungslage gibt, die
Schusswaffen nötig macht, oder gar durch anderes ersetzt werden kann.
Insbesondere bei den Polizistinnen, welche bei Demonstrationen eingesetzt
werden, muss aber gelten: Diese Beamt*innen verteidigen im Zweifel unsere
Demokratie. Es darf nicht sein, dass sie dabei durch das Wegfallen der
Schusswaffe einer erhöhten Gefahr ausgesetzt sind. Deshalb sollte in
regelmäßigen Abständen eine Überprüfung der passiven Bewaffnung
(Schutzwesten gegen Hiebe, Stiche, Schüsse / Schutzschilder etc.)
stattfinden und diese ggf. angepasst werden.
Die Verwendung von Elektro-Taser, soll untersagt werden. In der Regel
hinterlassen diese Taser zwar keine langwierigen Folgen, können aber
tödlich sein für Menschen mit Herzproblemen. Um den getroffenen Mensch vor
körperlichen Schäden, die*den ausführenden Beamt*in vor psysischen
Folgeschäden zu schützen, sollen Elektro-Taser einen ähnlichen Stellenwert
wie eine Schusswaffe einnehmen.
Insbesondere bei den Polizist*innen, welche bei Demonstrationen eingesetzt
werden, muss aber gelten: Diese Beamt*innen verteidigen im Zweifel unsere
Demokratie. Es darf nicht sein, dass sie dabei durch das Wegfallen der
Schusswaffe einer erhöhten Gefahr ausgesetzt sind. Deshalb sollte in
regelmäßigen Abständen eine Überprüfung der passiven Bewaffnung (Schutzwesten
gegen Hiebe, Stiche, Schüsse / Schutzschilder etc.) stattfinden und diese ggf.
angepasst werden.
- Die Ausweisung von Repressionsmaßnahmen als Dienstleistungen der Polizei
lehnen wir entschieden ab. Für uns ist es untragbar, dass von Repressionen
betroffene Menschen mit Kosten für ihre Repression zusätzlich belastet werden.
Diese Art der Bestrafung trifft in überproportionalem Maße arme Menschen und ist
deshalb kein probates Mittel zur Finanzierung von Polizeiarbeit. Darum fordern
wir ein Verbot der Erhebung von Kosten für Repressionsmaßnahmen durch die
Polizei.
- Perspektivisch soll die gewaltausübenden Einsatzgebiete strenger von den
friedlichen Einsatzgebieten getrennt sein. Dabei ist zu überprüfen, welche
Aufgaben den Ordnungsämtern übertragen werden können. Ziel dessen soll die
wahrnehmbare Trennung von gewaltanwendender Polizei und gewaltfreiem Ordnungsamt
sein.
- Perspektivisch soll die gewaltausübenden Einsatzgebiete strenger von den friedlichen Einsatzgebieten getrennt sein. Dabei ist zu überprüfen, welche Aufgaben den Ordnungsämtern übertragen werden können. Ziel dessen soll die wahrnehmbare Trennung von gewaltanwendender Polizei und gewaltfreiem Ordnungsamt sein.
- Perspektivisch soll sowohl die Präsenz als auch der Aufgabenbereich der Polizei klarer vom Tätigkeitsfeld und Auftreten anderer staatlicher Institutionen wie dem Ordnungsamt getrennt werden. Denn die zunehmende optische Angleichung der Ordnungsämter und des Polizeivollzugsdienstes führt nur zu Unklarheiten innerhalb der Bevölkerung, mit welchen Beamt*innen man es jeweils zu tun hat und somit zu Unsicherheit und Vertrauensverlust. Sowohl bei den Uniformen als auch Fahrzeugen ist deshalb auf eine erkennbare Trennung zwischen beiden Behörden zu achten. Daneben lassen sich aber einige Aufgabenbereiche, die bisher in Verantwortung der Polizei lagen, auch dem Ordnungsamt übertragen. So wäre es z.B. möglich, Verkehrskontrollen und die Aufnahme von Unfällen und Verkehrsdelikten innerorts von den jeweiligen Ordnungsämtern durchführen zu lassen, da diese auch bereits für den ruhenden, nicht aber den fließenden Verkehr zuständig sind. Die durch die Übertragung gewonnenen Kapazitäten können wiederum für eine notwendige Entlastung der Vollzugspolizei genutzt werden, wodurch sich, wie oben beschrieben, potenzielle Gewaltausbrüche durch die Reduzierung von Überlastung vermeiden lassen. Daneben ermöglicht es den Beamt*innen, sich wieder stärker auf ihre eigentliche Kernkompetenzen wie der Aufklärung und Bekämpfung von Kriminalität zu konzentrieren.
Viele Jusos beteiligen sich aktiv am zivilgesellschaftlichen Demonstrationsgeschehen in Sachsen und stehen dabei mit ihren Körpern für all die Grundwerte auf der Straße, die wir in unserer politischen Arbeit verkörpern. Dabei werden viele von uns selbst Opfer oder Zeug*in von Polizeigewalt oder ungerechtfertigten Polizeimaßnahmen. Da wir als progressiver Richtungsverband in der SPD die aktuellen Zustände anprangern und ändern wollen, bemerken wir darüber hinaus besonders, dass die Institution Polizei eine grundlegend konservative Position einnimmt. Ob Polizist*innen auf Demonstrationen Faschist*innen und Neonazis schützen, per racial profiling oftmals PoC in Gefahr bringen oder wie im Fall Oury Jalloh sowie dem NSU-Komplex aus rassistischen Motiven selbst zu (Mit-)Täter*innen werden, die Polizei als ganze bedarf grundlegenden Reformen.
Reorganisation – Bei Verfahren gegen Polizeibeamte, die unverhältnismäßig Gewalt anwenden, kommt es in der absoluten Mehrzahl der Fälle dazu, dass die Kolleg*innen entweder nichts gesehen haben oder aktiv decken. Das ist darauf zurückzuführen, dass die besondere hierarchische Struktur der Polizei und die tägliche Befassung mit Gewalt zur Ausbildung einer sogenannten „Gefahrengemeinschaft“ mitsamt Korpsgeist führt.
Wie schwer es ist Ermittlungen gegen Polizeibeamte zu führen wird oft mit der sogenannten „Mauer des Schweigens“ dargestellt. Gründe hierfür sind, wie oben bereits erwähnt der Schutz der Gefahrengemeinschaft vor Gefahren von außen, sowie gleichzeitig die Sicherung der eigenen Loyalität in der Gruppe. Ein Verlust dieser Loyalität hätte für den Einzelnen verheerende Auswirkungen und würde ihm die Möglichkeit nehmen in der Gruppe weiterhin Dienst zu versehen. Er würde aus der Gefahrengemeinschaft ausgeschlossen werden, was für ihn zur Folge hat, dass er von seinem eigenen Utopia ausgeschlossen wird.
[Kai Seidensticker (Autor), 2011, Korpsgeist und Polizei, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/174862]
Identifikation – Polizeibeamte sind auch im Dienst Menschen. Menschen sind fehlerhaft und machen Fehler, jedoch müssen sich Menschen in einer Gesellschaft auch dafür verantworten. Besonders, wenn sie in privilegierten Positionen sind, wie im Polizeidienst mit dem staatlichen Gewaltmonopol in der Hand, müssen diese Menschen verantwortlich für ihre Handlungen sein. Sie geben beim Dienstantritt weder ihre Menschlichkeit noch ihre Zugehörigkeit zur Gesellschaft ab und müssen sich daher auch deren Maßstäben unterwerfen. Um diesen Anspruch erfüllen zu können, muss während einer polizeilichen Maßnahme sowie im Nachhinein offensichtlich sein, wer gerade das staatliche Gewaltmonopol ausführt. Ebenso wie Menschen in einer Maßnahme nicht das Recht auf Anonymität haben, haben die durchführenden Beamten ebenso kein Recht auf Anonymität. Die Angst vor Vergeltungsaktionen gegen Polizist*innen im privaten Bereich der Person sind konstruiert und hinfällig. Zum einen wird auch mit individuellen Identifikationsmerkmalen die Polizei zuerst als abstrakte Masse wahrgenommen, zum anderen gibt es weder aus deutschen Bundesländern mit individuellen Kennzeichnungen noch aus Ländern wie Estland, Großbritannien, den USA, Kanada oder Spanien derartige Erfahrungen.
Vgl. https://www.amnesty.de/sites/default/files/2017-12/Q%26A%20Kennzeichnungspflicht-fuer-die-Polizei-in-Deutschland-Nov%202017_0.pdf
Gewaltanwendungsstopp – Der Polizeiberuf stumpft ab und steigert nachweislich die soziale Dominanzorientierung. Wer im Polizeidienst arbeitet, vor allem in Einsatzhundertschaften, erfährt fast täglich Ausnahmesituationen und Gewalt. Daher ist eine maximale Arbeitszeit in mit Gewalt arbeitenden Dienstfeldern notwendig, um das Risiko für unzulässiges Verhalten von Polizeibeamten zu verringern.
Whistleblower schützen – Polizei-Whistleblower*innen sind Polizist*innen, die in (Disziplinar)Verfahren gegen ihre Kolleg*innen aussagen. Wie im Abschnitt zum Korpsgeist erwähnt, ist die Gefahrengemeinschaft für viele Polizist*innen ein zentraler Bezugspunkt und Identifikationspunkt. Whistleblower*innen die dessen Verschwiegenheit beschädigen verlieren nicht nur dieses wichtige Angebot, sie werden auch automatisch aus der Mitte der Gemeinschaft ausgeschlossen und von den restlichen Menschen in der Gefahrengemeinschaft als Gefahr angesehen. Somit kommt es nicht selten zu Mobbing oder anderen Anfeindungen die Whistleblower*innen ernsthaften psychischen Schaden zufügen können und die außerdem eine abschreckende Wirkung für potentielle weitere Whistleblower*innen haben. Daher brauchen Polizist*innen die gegen Kolleg*innen aussagen besonderen Schutz.
Bei der Polizei sind Whistleblower Kameradenschweine, Verräter. Schlimmer, als eine Straftat zu verüben, ist es bei der Polizei immer noch, den Kollegen ans Messer zu liefern.
Rafael Behr (Prof. für Polizeiwissenschaften) im SZ Interview; https://www.sueddeutsche.de/panorama/polizeikultur-in-deutschland-bei-der-polizei-gelten-whistleblower-als-kameradenschweine-1.2485586
Radbruch’sche Formel - Als selten eingesetzte Möglichkeit für Richter*innen, Angeklagte nicht nach dem gültigen Gesetz zu verurteilen bietet die Radbruch`sche Formel für die Judikative die Möglichkeit zugunsten der Gerechtigkeit zu urteilen. Vor allem in der Aufarbeitung der DDR-Geschichte kam die Radbruch’sche Formel hauptsächlich in den Mauerschützenprozessen zur Anwendung. In Bezug auf die Polizeiarbeit soll mit ihr ermöglicht werden, dass Polizist*innen notfalls auch Befehle verweigern können. Als hypothetisches Beispiel wäre die Lage an der griechischen Grenze im März 2020 zu nennen. Dort sind nachweislich griechische Polizist*innen an unrechtmäßigen Rückführungen von Flüchtenden beteiligt. Mithilfe der Radbruch’schen Formel könnte eine Person der griechischen Polizei beispielsweise das Fahren eines der nicht-markierten Transporter verweigern. Bei einem Verfahren wegen Befehlsverweigerung kann sich diese Person dann auf die Radbruch’sche Formel berufen, da der Befehl zur illegitimen Rückführung zu keiner Zeit den Anspruch hat, Gewalt zu verhindern.
Repressionsdienstleistung – Polizeiliche Maßnahmen wie Platzverweise oder Identitätsfeststellungen können quasi willkürlich angewandt werden. Wenn man diese dann auch noch von der von Repression betroffenen Person bezahlen lässt, ermöglicht man eine signifikante und doppelte Schikane unschuldiger Menschen. Gegen die Kostenerhebung kann man sich zwar anwaltlich wehren, jedoch fehlt vielen Menschen in besonders verletzlichen Lebenssituationen oftmals der Zugang zu anwaltlicher Hilfe. Eben diese Menschen sind außerdem besonders gefährdet, da sie meist nicht über genug finanzielle Ressourcen verfügen, um problemlos den Kostenerhebungen Folge zu leisten. Konstruieren wir beispielsweise eine arbeitslose Antifaschistin. Sie will zu einer Demonstration in Bayern anreisen und wird noch im Bahnhof von der Polizei aufgehalten. Weil der Bahnhof als besonders gefährdeter Ort festgelegt wurde, darf die Polizei im Bahnhof nach Belieben Identifizierungen durchführen. Die Antifaschistin hat aber ihren Ausweis vergessen und muss deshalb eine Identitätsfeststellung über sich ergehen lassen. Dafür erhebt die Bundespolizei laut neuer Kostentabelle 53,75 Euro. Die Antifaschistin hat sich nichts zuschulden kommen lassen aber muss nun rund 12% des Hartz-IV Regelsatz zahlen. (https://www.gesetze-im-internet.de/bmibgebv/BJNR135900019.html) Mithilfe dieser Regelung kann die Polizei nun enorme Kosten nach Belieben verursachen. Der Rassismus, welcher sich bereits in racial profiling zeigt, hat also eine neue Ausdrucksmöglichkeit bekommen.
Quellen:
https://www.grin.com/document/174836
https://www.grin.com/document/174862
https://kviapol.rub.de/index.php/inhalte/zwischenbericht
https://www.sueddeutsche.de/panorama/polizeikultur-in-deutschland-bei-der-polizei-gelten-whistleblower-als-kameradenschweine-1.2485586
https://www.amnesty.de/sites/default/files/2017-12/Q%26A%20Kennzeichnungspflicht-fuer-die-Polizei-in-Deutschland-Nov%202017_0.pdf
https://www.nordkurier.de/politik-und-wirtschaft/wer-einen-polizeieinsatz-verursacht-muss-zahlen-1138380202.html
https://www.gesetze-im-internet.de/bmibgebv/BJNR135900019.html